Der Kampf ums Überleben

Am Morgen des 15. Mai 1940 - elf Tage vor Begins der Evakuierung des britischen Expeditionskorps aus Dunkirchen - klingelte das Telephon in der Downing Street Nr. 10, dem Amtssitz des britischen Premierministers. Es war 7.30 Uhr, and Winston Churchill schlief noch, aber der Anruf, der aus Paris kam, wurde aufgrund der Dringlichkeit durchgestellt. Über seines Apparat im Schlafzimmer hörte Churchill die Stimme des französischen Premierministers Paul Reynaud, der erregt sagte: ,Wir sind besiegt worden."

Es war die bittere Wahrheit. Mit einem schnellen Vorstoß seiner Panzerverbande and motorisierten Infanterieeinheiten hatte Hitler die französischen Truppen vernichtend geschlagen and drohte nun, das Land innerhalb von wenigen Wochen völlig unter seine Kontrolle zu bringen. Churchill hatte am 10. Mai Neville Chamberlain als Premierminister abgelöst and war erst fünf Tage im Amt. 

Dennoch konnte er sich leicht ausrechnen, gegen wen sich Hitlers nächste Aktion richten wurde. Großbritannien war die einzige Macht, die den deutschen Diktator noch von der absolutes Herrschaft in Westeuropa trennte. Zwei Stunden später traf sich Churchill mit den Stabschefs des Heeres, der Marine and der Royal Air Force, um über die Forderung Reynauds zu beraten, zehn Jagdstaffeln der R.A.F. zur Unterstutzung Frankreichs zu entsenden. Mit von der Partie war außerdem Air Chief Marshal Sir Hugh Dowding, der Chef des Jägerkommandos, der darum gebeten hatte, an der Besprechung teilnehmen zu dürfen, um dem neuen Premierminister seine Beurteilung der Lage vorzutragen. Dowding war 58 Jahre alt, groß, hager and ein zurückhaltender - oder, wie manche meinten, einsamer Mann, der andere mit seiner Direktheit nicht selten in Verlegenheit brachte. Dazu kam, dass er dienstkälter war als die meisten seiner Vorgesetzten, darunter auch der Stabschef der R.A.F., Sir Cyril Newall, was den Umgang mit ihm in gewisser Weise erschwerte. Dowding hielt Frankreich für verloren and erachtete es als unklug, weitere Staffeln seines Kommandos über den Ärmelkanal zu verlegen. Er wusste ebensogut wie Churchill, dass Hitler bald Großbritannien angreifen wurde, and fürchtete, dass die Briten sich selbst jeglicher Verteidigungsmöglichkeit beraubten, wenn sie dem seiner Ansicht nach letztlich zum Scheitern verurteilten Versuch, Frankreich zu retten, noch weitere R.A.F.-Flugzeuge opferten. Schon vier Monate zuvor hatte der Stab der R.A.F. die 51 Jagdstaffeln, über die die Royal Air Force damals noch verfügte, als unzureichend für die Verteidigung des Heimatlandes erklärt. Inzwischen war die Zahl der in England stationierten Staffeln auf 36 gesunken, and Dowding befürchtete, das Kriegskabinett, das noch im Laufe des Vormittags zusammentreten sollte, konnte, wenn er nicht einschritte, beschließen, einen Teil davon auf das Festland zu entsenden. Churchill sorgte sich um Frankreich fast mehr, als sich mit Vernünftsgrunden erklären ließ, and er war bereit, auf dem Festland Widerstand um jeden Preis zu leisten.  

 

Erstes Kräftemessen: Ein bitteres Erwachen  

 

Hawker Hurricane
Die Hawker Hurricane spielte im Luftkampf über England eine wichtige Rolle. Die Hurricane war eine robustes Flugzeug, und ihre Wendigkeit machte aus ihr einen idealen Bomberzerstörer. Dennoch konnte sie mit der Bf 109 leistungsmäßig nicht gleichziehen. Die Hawker Hurricane, die zwischen Juli und Oktober 1940 32 Staffeln, ausrüstete, war im Luftkampf über England die Stütze des Fighter Command. Im September 1940 ging die Hurricane Mk II mit dem 1.1885 PS starken, zweistufigen Merlin-XX Lademotor in Dienst. Mindestens eine Hurricane zog mit der damals noch experimentellen Bewaffnung  von vier 20-mm-Kanonen in den Kampf. Das hier abgebildete Flugzeug trägt das sechseckige Kennzeichen der No. 85 Squadron von Staffelkapitän Peter Townsend.
Staffelkapitän Peter Townsend führet die No. 85 Squadron von Debden in seine ersten größeren Kampf. „Als wir und den Bombern näherten, drehten die JU 87 und Heinkels auf das Meer ab. Ein Duzend Bf 110 schnitten sie von uns ab und bildeten einen Verteidigungskreis.... Kurze Zeit später wendete eine BF 110 ungeschickt direkt vor meinem Bug. Bei ihrem zwecklosen Versuch, meinem Abschuss zu entrinnen, sah mir die Maschine einen Moment lang entsetzlich menschlich aus. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Es war ein leichter Abschuss – zu leicht sogar. Ein paar Sekunden lang beschäftigten wir uns noch mit den Bf 110. Dann schoss plötzlich ein Schwarm BF 109 herab. Aus den Augenwinkel sah ich eine davon im Sturzflug auf mich zukommen und das Feuer eröffnen. Ich konnte sie abschütteln, indem ich selbst auf sie zuschoss und sie unter mir wegtauchen musste.“  

An einem frostig klaren Novembermorgen des Jahres 1939 spurteten rund 80 Kilometer südöstlich von Reims auf dem einfachen Grasflugplatz von Vassincourt drei britische Piloten zu ihren Flugzeugen. Nur wenig später rumpelten die Hawker Hurricanes über den unebenen Boden, hoben ab, zogen ihr Fahrwerk ein und stiegen steil in den Himmel. Die drei Jäger hatten den Auftrag, den gemeldeten Aufklärer der deutschen Luftwaffe zu verfolgen, der weit in den französischen Luftraum eingedrungen war. Als die englischen Piloten eine Höhe von 6000 Metern erreichten, lag in der klaren, von wolkenbruchartigem Regen reingewaschenen Luft ganz Nordfrankreich von den Ardennen bis zum gewundenen Lauf der Marne gut sichtbar unter ihnen. In der Führermaschine der Gruppe saß Flying Officer Cyril D. Palmer, einer von 15 jungen, kampfunerfahrenen Piloten der Royal Air Force, die am 8. September 1939 mit der 1. Staffel nach Frankreich verlegt worden waren. Fünf Tage zuvor hatten England und Frankreich den Deutschen als Antwort auf ihren Einmarsch in Polen am 1. September 1939 den Krieg erklärt, weil sie ihrer Garantieerklärung für die staatliche Integrität Polens vom Sommer 1939 nachkommen mussten.

Es dauerte nicht lange, bis Palmer die feindliche Maschine ausmachte, einen Bomber des Typs Dornier Do 17, dessen unverwechselbare Silhouetteschlanker, bleistiftdünner Rumpf and knollige Bugkanzel - er sogleich erkannte, weil er sich in seiner Freizeit zwischen den Ausbildungsflügen viel mit den ausgegebenen Flugzeug-Erkennungsblattern beschäftigt hatte. Der Pilot des deutschen Flugzeugs, der die britischen Jäger offensichtlich bemerkt hatte, versuchte, in Richtung Grenze zu entkommen, aber die Hurricanes waren über 100 Kilometer pro Stunde schneller und kamen bald auf Schussentfernung heran. Von hinten anfliegend, eröffneten sie das Feuer. Gegen den massiven Beschuss der drei mit je acht Maschinengewehren ausgerüsteten Jäger hatte die Dornier keine Chance. Im Feuerhagel getroffen, begann einer ihrer beiden Motoren Flammen und Rauch zu spucken, und sie verlor Höhe.

Palmer sah, wie Bordschutze und Beobachter sich aus dem qualmenden deutschen Flugzeug fallen ließen and die Reißleinen ihrer Fallschirme zogen. In der Absicht, dem Bomber den Gnadenstoß zu versetzen, flog er noch einmal an und druckte den Waffenknopf seiner Hurricane. Nichts geschah; er hatte seine ganze Munition verschossen. Glücklicherweise schien der Deutsche ohnehin zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Palmer schloss von hinten auf und betrachtete den Piloten, der über dem Steuerrad zusammengesunken war und sich nicht rührte. Um sich endgültig zu vergewissern, dass sein Gegner tot und die Maschine ein sicherer Abschuss war, nahm Palmer den Gashebel zurück und setzte sich mit seiner Hurricane direkt neben den schwer beschädigten Bomber.

In der Glaskanzel des von Treffern durchsiebten Bombers war der Pilot, Unteroffizier Arno Frankenberger, allerdings unverletzt geblieben. Er hatte zu der uralten List gegriffen, sich totzustellen. Nun riss er ruckartig den Gashebel zurück und brachte die Motoren fast zum Stillstand. Die Dornier reagierte und wurde schlagartig langsamer, so dass Palmer an ihr vorüberschoss. Frankenberger hangte sich direkt hinter die Hurricane und trat in Aktion. Er überließ sein Flugzeug sich selbst, kletterte in den freien Beobachtersitz, machte ein MG 15 feuerbereit und jagte einen langen Feuerstoß in das Heck der Hurricane.

Als die Geschosse ratternd in den Rumpf einschlugen, duckte sich Palmer, während er gleichzeitig den Knüppel hart nach vorn schob, so dass die Hurricane abrupt vornüberkippte und nach unten aus dem Feuerbereich des Deutschen verschwand. Ein Geschoss war durch das Gepäckfach hinter Palmers Sitz und an seinem Kopf vorbei in die Windschutzscheibe geschlagen. Außerdem war der Motor getroffen worden und stand still. Palmers blitzartige Reaktion rettete ihm das Leben; aber er wäre nie in Gefahr gekommen, wenn er - wie ein erfahrener Pilot - seine Neugier bezähmt und mehr Vorsicht hatte walten lassen. Eine weiße Glykol-Fahne quoll aus dem defekten Kuhlsystem, während er im Gleitflug auf einen nahen Acker zuhielt, wo er, da auch das Fahrwerk beschädigt worden war, die Maschine mit einer Bauchlandung zu Boden brachte. Frankenberger, der sich außerstande sah, den Kampf gegen die beiden anderen, pausenlos feuernden Hurricanes aufzunehmen, landete seine Dornier unweit von Palmer und wurde sofort von Franzosen gefangengenommen. Damit waren die Abenteuer des deutschen Piloten jedoch noch nicht vorüber.

Nachdem er eine Nacht unter französischer Bewachung verbracht hatte, wurde Frankenberger - gegen den vehementen Protest der Franzosen - für den folgenden Abend den britischen Piloten übergeben, die ihn zu seiner Verwunderung in das Obergeschoss eines kleinen Gasthauses in der Nahe von Vassincourt führten, wo die englischen Offiziere ihre Messe eingerichtet hatten. Dort hieß man ihn höflich willkommen, bot ihm einen Sessel am Kamin an and reichte ihm einen Krug schäumendes Bier. An diesem Abend speiste Frankenberger vom Besten, was das kleine Dorf zu bieten hatte, reichte stolz Aufnahmen von Frau and Kind herum and schrieb schließlich seinen Namen auf ein Photo, das er seinen Bezwingern schenkte.

Das Kameradschaftsgefühl, das sich hier manifestierte und das an die Ritterlichkeit der Luftkämpfe des Ersten Weltkriegs erinnerte, stand in eigenartigem Gegensatz zu der Idee des totalen Krieges. Aber die Piloten der R.A.F. ahnten noch nicht, was ihnen in diesem Krieg bevorstand - die Katastrophe von Dunkirchen, die Verteidigung Londons, das zähe Ringen um Malta und der verbissene Kampf im Luftraum über Europa.

In der Erinnerung der Überlebenden waren diese ersten, sportlich fairen Begegnungen, die im September 1939 begannen, lediglich eine Art "Scheinkrieg", den sie - in der Sprache des Landes, in dem sie größtenteils stattfanden, häufig auch „La drole de guerre" nannten.

 

Der „Scheinkrieg“ - The phony war

Trotz der offiziellen Kriegserklärung hatte bisher noch keine Seite eine Offensive eingeleitet. Die starke, gut ausgebildete Luftwaffe schien darauf zu warten, dass einer ihrer Gegner den ersten Schritt unternahm, aber England und Frankreich verhielten sich defensiv und brachten lediglich Truppen an der nordöstlichen Grenze Frankreichs in Stellung. Mit der Entsendung von zehn mit leichten Bombern des Typs Fairey-Battle ausgerüsteten Staffeln des Bomberkommandos nach Frankreich hatte Großbritannien begonnen, seine Vorgeschobenen Luftstreitkräfte, die Advanced Air Striking Force (AASF), aufzubauen. Die 1. und 73. Staffel, beide mit Jagdflugzeugen des Typs Hurricane ausgerüstet, kamen nach. Wenig später folgte eine kombinierte, Air Component genannte Einheit zur Nahaufklarung und taktischen Luftunterstützung der britischen Landstreitkräfte. Sie verfügte über den zweimotorigen Bomber-Blenheim und den einmotorigen Hochdecker Lysander, der zu Aufklärungsflügen eingesetzt wurde, sowie über Jäger vom Typ Hurricane und Gladiator, letzterer ein zwar in unzähligen Einsatzen bewahrter, aber völlig veralteter Doppeldecker. Abgesehen von Angriffen auf Feindaufklärer, die die Grenze überflogen, und einigen Bombenangriffen auf deutsche Kriegsschiffe enthielt sich die R.A.F. jeglicher offensiver Operationen. Natürlich hatte der „Scheinkrieg", selbst wenn es zunächst dabei nur darum ging, in der frustrierenden Stellung zu verharren, auch eine schreckliche reale Seite, die sich in dem Verlust von Hunderten von Menschenleben und zahllosen Flugzeugen dokumentierte. Aber das Bewusstsein, dass beide Seiten offensichtlich davon absahen, ihr volles militärisches Potential einzusetzen, trug zu einem gewissen Gefühl der Irrealität in jenen ersten Kriegstagen bei.

Andererseits sammelte die R.A.F. in dieser Zeit eine Reihe von wertvollen Erfahrungen, unter anderem auch die aus dem Luftkampf zwischen Palmer und dem Deutschen Frankenberger. Die Benzintanks der Hurricane waren gepanzert, und die Windschutzscheibe bestand aus Panzerglas; nichts aber schützte den Piloten gegen Beschuss von hinten - ein Mangel, der den jungen Engländer fast das Leben gekostet hatte. Palmers Staffelkapital, Patrick J. H. „Bull" Halahan, forderte daraufhin sofort, dass in den Hurricanes seiner Staffel Panzerplatten hinter dem Sitz des Piloten angebracht wurden, stieg mit seinem Vorschlag jedoch auf Ablehnung, weil die Panzerung angeblich den Schwerpunkt der Maschine ungünstig veränderte. Halahan war nicht der Mensch, der nach abschlägigen Bescheiden einfach aufgab. Er ordnete an, eines der Jagdflugzeuge entsprechend umzurüsten, und schickte einen Piloten in die Luft, der die Theoretiker mit einem atemberaubenden Kunstflugprogramm überzeugte. Sein Vorgehen führt dazu, dass später sowohl in den Hurricanes als auch den Spitfires standardmäßig Rückenpanzerungen angebracht wurden. Aber der achtmonatige „Scheinkrieg", der dem deutschen Blitzkrieg im Westen vorausging, sollte den Briten noch andere Lektionen erteilen, die keinesfalls so schmerzlos zu verkraften waren wie diese.

Für die im Luftkampf noch unerfahrene R.A.F. gehörte der Kampf zum täglichen Leben. Seit Beginn ihrer Existenz als selbständige Teilstreitkraft, die im April 1918 durch Zusammenlegung der Heeres- und Marineflieger zustande kam, hatte sie um ihr Oberleben gerungen. Sowohl im Kriegsministerium als auch in der Admiralität herrschte die Meinung vor, dass das fliegende Personal dazu da sei, Land- and Seeoperationen zu unterstützen - und dass eine Luftwaffe als eigenständige Waffengattung demzufolge vollkommen unnötig sei. Mehr als einmal hatten die Befürworter der R.A.F. im Parlament Antrage abwehren müssen, die Luftstreitkräfte auf Heer and Marine aufzuteilen.

Die bedrohliche Situation, in der sich die R.A.F. befand, verschärfte sich, als das noch amtierende englische Kriegskabinett 1919 der bekannten „Zehnjahresregel" zustimmte, einer Planungsstudie fuhr die Streitkräfte, die auf der Voraussetzung basierte, dass das britische Empire in den kommenden zehn Jahren von keinem größeren Krieg bedroht sein wurde. Diese Studie, Eckpfeiler der britischen Verteidigungspolitik and bis 1932 jährlich verlängert, hemmte den Ausbau der Streitkräfte, insbesondere den der jungen - und noch weitgehend unerprobten - Royal Air Force.

Die R.A.F. und, wie sich herausstellte, ganz Großbritannien konnten sich glücklich schätzen, dass an der Spitze des Kampfes gegen die Tendenz zur Vernachlässigung der Luftstreitkräfte ein Mann von ungewöhnlicher Weitsicht stand. Sir Hugh Trenchard, Stabschef der R.A.F., der wegen seiner gewaltigen Stimme den Spitznamen „Boom" - der Donnerer - trug, war ein Visionär, der sich hartnackig und mit allen Starken und Schwachen eines Fanatikers für die strategisch operierenden Luftstreitkräfte einsetzte. Sein Konzept beruhte auf der unerschütterlichen Überzeugung, Angriff sei die beste Verteidigung und der Sieg nur durch den strategischen Einsatz von Bombern auf militärische and industrielle Ziele zu erringen. Trenchard behauptete - und überzeugte schließlich das Parlament-, das die R.A.F. diese Funktion am besten als selbständige Teilstreitkraft, unabhängig von den Land- and Seestreitkräften, wahrnehmen konnte.  

Obwohl die finanziellen Mittel in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg knapp waren, setzte sich Trenchard mit Nachdruck dafür ein, seine kleine Truppe auf ein gesundes Fundament zu stellen. Er gründete in Cranwell eine R.A.F.-Fliegerschule für die Offiziersausbildung und in Halton eine Ausbildungsstätte für das Bodenpersonal. Mit Hilfe einer sogenannten Hilfsluftwaffe, der Auxiliary Air Force - einer aus den Söhnen wohlhabender Familien, die sich die Wochenendausbildung zum Piloten leisten konnten, gebildeten Reserve -, gelang es ihm, trotz der spärlichen Haushaltsmittel die Zahl der einsatzbereiten Staffeln zu erhöhen. Das war der Stand der R.A.F., als Winston Churchill 1934 vor dem Unterhaus behauptete, in Deutschland existiere heimlich eine Luftwaffe.

Der Verdacht verdichtete sich zur Gewissheit, als Hitler 1936 Truppen und zwei Jagdstaffeln ins Rheinland schickte und Anspruch auf das Gebiet erhob, das im Versailler Vertrag zur entmilitarisierten Zone erklärt worden war. Die Engländer reagierten, indem sie die Entwicklung und Produktion moderner Flugzeuge zu forcieren begannen und ein umfangreiches Programm für den Bau von Flugplatzen in Angriff nahmen, die die Insel letztlich in eine Art stationären Flugzeugträger verwandeln sollten. 1936 wurde eine weitere freiwillige Reservetruppe gegründet, die jährlich etwa 800 Piloten für die drei großen Einsatzkommandos der R.A.F. anwarb und ausbildete: das Bomber-, das Jäger- and das Küstenkommando.

In der kurzen Zeit bis 1939 erhielt die R.A.F. eine einsatzbereite Flotte zuverlässiger Flugzeuge. Dem Bomberkommando standen an schweren Bombern Wellingtons und Whitleys, an mittleren Bombern Hampdens und Blenheims and an leichten Bombern die dreisitzigen, einmotorigen Fairey Battles zur Verfugung. Das Küstenkommando flog zweimotorige Ansons, in Amerika gebaute Hudson-Bomber und Sunderland-Flugboote zur Seeaufklärung. Als Jäger ragten vor allem die Hurricanes und die allerdings noch nicht sehr zahlreichen, neu entwickelten Spitfires hervor (Bilder unten). 

     

Vickers Supermarine Spitfire - "matching with the enemy-power"

Mit Hilfe des Ausbauprogramms war es gerade noch gelungen, die Zahl der R.A.F.-Flugzeuge mehr als zu verdreifachen und auf rund 1500 hochzuschrauben - wobei die deutsche Luftwaffe ein noch bemerkenswerteres Tempo hatte vorlegen können: Sie besaß bei Kriegsausbruch mehr als doppelt so viele Maschinen wie die britische Fliegertruppe.

Im September 1939, als der Krieg begann, existierte die Royal Air Force seit 21 Jahren, and die Truppe selbst betrachtete sich als reife, professionelle Streitkraft. Als eine junge, in Neuland operierende Organisation übte sie weit größere Anziehungskraft aus als die beiden anderen Waffengattungen. Und die Presse, mit erfreulichen Meldungen nicht gerade verwohnt, half kräftig mit, das Hohelied der glorreichen Piloten zu singen, dem letztere nach Kräften gerecht zu werden versuchten 

Die Wirklichkeit, die sich am 3. September 1939, als die R.A.F. ihren ersten Einsatzbefehl im Verlauf des Krieges erhielt, abzuzeichnen begann, sah jedoch bestürzend anders aus. Das Einsatzziel lag in einem höchst unerwarteten Gebiet. Weil man mit einem sofortigen Luftangriff der Deutschen rechnete, wurden die britischen Jagdflugzeuge in Alarmbereitschaft am Boden zuruckgehalten; den Bombern waren von den Politikern Angriffe auf Landziele untersagt worden. Aus diesem Grund bereitete sich die R.A.F. - nicht ohne Bedenken - darauf vor, die Deutschen auf See anzugreifen.

Um 11.01 Uhr, eine Minute nach der offiziellen Kriegserklärung durch den britischen Premierminister, lief ein ehrgeiziges Unternehmen an, an dem die beiden zu der Zeit in Wattisham, 105 Kilometer nordöstlich von London, stationierten Bomberstaffeln 107 and 110 beteiligt waren. Die Vorarbeit für das Unternehmen leistete Flying Officer Andrew McPherson, ein mutiger, zielstrebiger Schotte, der - mit einem hohen Seeoffizier als Beobachter an Bord - in einer Blenheim vom Flugplatz Wyton, 95 Kilometer nördlich von London, startete, um die Nordseebasen der deutschen Marine zu erkunden and zu photographieren.

Die beiden stiegen über der Schillig-Reede bei Wilhelmshaven auf eine größere Anzahl von Kriegsschiffen. Kurz nachdem McPherson mit seinem zweiten Bericht zurückgekehrt war, stiegen am 4. September unter dem Kommando von Flight Lieutenant K. C. Doran zehn Blenheims in den wolkenverhangenen Himmel auf and nahmen Kurs auf Wilhelmshaven. Ihre Bombenlast bestand aus je zwei 225 Kilogramm schweren Sprengbomben mit Zeitzundern, die für den Tiefangriff auf elf Sekunden Zündverzögerung eingestellt waren. In Wyton starteten fünf weitere Blenheims der 139. Staffel, um sich dem Angriff anzuschließen, kehrten aber wieder um, da sich das Wetter verschlechterte and die Zielfindung unmöglich machte. Doran mit seinen zehn Maschinen hingegen folgte den Fahrrinnen zur Schillig-Reede, auf der das Panzerschiff Admiral Scheer and der Leichte Kreuzer Emden vor Anker lagen. Fünf Bomber der von Doran geführten 110. Staffel flogen den ersten Angriff, gelangten ungehindert über die Schiffe and trafen die Admiral Scheer mit zwei Bomben, die jedoch von den gepanzerten Decks abprallten and ins Wasser fielen, bevor sie explodierten. Während die Flugzeuge abdrehten, eröffnete die Abwehr auf den Schiffen and an Land das Feuer. Eine der Blenheims wurde getroffen and stürzte ab. Als die fünf Maschinen der 107. Staffel das Zielgebiet erreichten, schoss die Flugabwehr bereits aus allen Rohren. Nur ein Bomber dieses Verbandes kehrte zurück. Unterdessen flogen 14 Wellingtons der 9. and 149. Staffel Brunsbüttel an, wo sie ähnlich schlechte Wetterbedingungen vorfanden and ebenso wie die Blenheims von energischem Abwehrfeuer in Empfang genommen wurden. Zwei der Wellingtons gingen verloren. Die übrigen meldeten einen einzigen Treffer - und den auch nur als „möglichen" Treffer.

Die Bilanz der ersten Offensiveinsatze der R.A.F. im Zweiten Weltkrieg sah alarmierend aus.

Von den 29 beteiligten Flugzeugen verfehlten zehn ihre Ziele, sieben wurden abgeschossen. Bei anschließenden Aufklärungsflügen zeigte sich darüber hinaus, dass sie die Schiffe nur unwesentlich beschädigt hatten, wenn man von einer der kampfunfähig geschossenen Blenheims absah, die durch Zufall oder aufgrund eines letzten heldenhaften Entschlusses des Piloten mit voller Wucht in das Vorschiff der Emden prallte. Der ehrgeizige Versuch, die deutsche Flotte gleich zu Beginn des Krieges wirkungsvoll zu schwachen, war schmählich misslungen. Das britische Bomberkommando ging erst im Juni 1940 dazu über, Einzeloperationen systematisch auszuwerten. Eine inoffizielle Analyse der Angriffe vom 4. September zeigte jedoch, wo einige der entscheidenden Mangel lagen. Viel zu wenige englische Flugzeuge waren in der Lage gewesen, das Zielgebiet zu finden. Funkverkehr and Luftaufnahmen hatten zu wünschen übriggelassen. Das fliegende Personal dem Beschuss der gefürchteten deutschen Abwehr auszusetzen and wirkungslose Bomben abwerfen zu lassen war reine Verschwendung and verschlechterte die Moral der R.A.F.-Angehörigen in gefährlicher Weise. Das Kriegskabinett zog seine Schlüsse and ordnete an, dag die auf englischem Boden stationierten Staffeln in Zukunft jeglichen Versuch, in schwer verteidigte Hafen einzudringen, unterlassen and statt dessen nur noch Angriffe auf Seeziele fliegen sollten. Doch selbst dieser eingeschränkte Auftrag überstieg die Möglichkeiten der R.A.F. Am 29. September sichteten elf Hampden-Bomber in der Helgolander Bucht vor Wilhelmshaven zwei deutsche Zerstörer und griffen sie an, wieder ohne ihnen Schaden zuzufügen. Der erste aus sechs Maschinen bestehende Pulk rief, bevor er wieder abdrehte und nach England zurückkehrte, lediglich die Flugabwehr auf den Plan. Der zweite aus fünf Bombern gebildete Verband wurde von deutschen Jägern abgefangen.

 

 

Dunkirchen - Die Evakuierung

...  Außerdem versuchten die britischen Jäger, die Deutschen möglichst weit vor dem Kampfgebiet abzufangen, so dass das Gros der Luftkampfe kilometerweit von Dunkirchen entfernt stattfand. Die Bilanz, 106 abgeschossene Jagdflugzeuge and 75 gefallene oder gefangengenommene Piloten der R.A.F., konnte zudem zum damaligen Zeitpunkt nicht veröffentlicht werden. Als sowohl von militärischer als auch ziviler Seite Vorwürfe gegen die R.A.F. laut wurden, zum Gelingen der Evakuierung nicht genügend beigetragen zu haben, kam Churchill dem fliegenden Personal zu Hilfe.

Am 4. Juni, dem letzten Tag der Evakuierung, sagte er vor dem Unterhaus: ,Wir sollten uns unbedingt davor hüten, aus dieser Rettungsaktion einen Sieg zu machen. Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen. Aber diese Rettungsaktion brachte uns einen beachtenswerten Sieg. Zwischen der britischen und der deutschen Luftwaffe hat ein entscheidender Kräftevergleich stattgefunden. Kann man sich vorstellen, dass es für die deutschen Piloten ein größeres Ziel gegeben hätte, als den Rücktransport der Truppen von dieser Küste zu verhindern? Sie liegen nichts unversucht, und sie wurden zurückgedrängt. Ich zolle diesen jungen Fliegern Tribut. 

"Prophetisch setzte er hinzu: ,Ein paar tausend gepanzerten Fahrzeugen ist es gelungen, in einem Ansturm die große französische Armee, jedenfalls vorläufig, auf breiter Front zurückzuschlagen und aufzureiben. Ist es nicht auch denkbar, dass es ein paar tausend Piloten gelingen wird, die Sache der gesamten zivilisierten Welt mit ihrem Können und ihrer Treue zu verteidigen?"

Dowding reagierte auf die Niederlage Frankreichs überaus nüchtern, wie Lord Halifax berichtete, der ihn noch im selben Monat im Hauptquartier des Jägerkommandos aufsuchte. „Gott sei Dank", meinte er, während er aus seinem Fenster in Richtung Ärmelkanal blickte, „jetzt sind wir allein."

Hugh Dowding hatte sich schon Jahre vor Kriegsausbruch auf die Schlacht um England vorbereitet. Er war überzeugt, dass die R.A.F. und die deutsche Luftwaffe eines Tages im britischen Luftraum aufeinandertreffen wurden. Daher galt seine Arbeit als Chef des Jägerkommandos vor allem dem Ziel, für diesen Tag gewappnet zu sein. Aber am Vorabend der Konfrontation, für die er so umfassende Pläne entwickelt hatte, sah es so aus, als sollte nicht er, sondern ein anderer die britische Jagdwaffe kommandieren. Wahrend die Luftkämpfe über Dunkirchen tobten, war seine Versetzung in den Ruhestand nur noch eine Frage von wenigen Wochen. Dowding war einst der sichere Anwärter auf den Posten des Stabschefs der R.A.F. gewesen, 1937 jedoch zugunsten von Sir Cyril Newall übergangen worden. 1939, als Dowding zur Pensionierung anstand, wurde seine Amtszeit als Befehlshaber des Jägerkommandos bis Ende März 1940 verlängert. Über seine weitere Verwendung herrschte Unklarheit; erst am allerletzten Tag des Monats forderte Newall ihn auf, bis zum 14. Juli auf seinem Posten zu bleiben.

Das Problem bestand darin, dass Dowding dem Stab der R.A.F. seit langem ein Dorn im Auge war. Als Befehlshaber des Jägerkommandos hatte er konsequent und kompromisslos den Ausbau seiner Jagdwaffe für die Verteidigung Großbritanniens durchgesetzt, sogar auf Kosten des Bomberkommandos und gegen den Widerstand des Stabes der R.A.F., der Trenchards Offensivstrategie favorisierte. Das Jägerkommando war jedoch im wesentlichen sein Werk, und in dieser kritischen Phase einen Nachfolger für ihn zu finden stieg auf Schwierigkeiten. So kam es, dass Dowding am 5. Juli, neun Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, gebeten wurde, bis Oktober im Dienst zu bleiben. Die Verteidigung Englands lag in seinen Händen, und sein Verteidigungsplan, aufgebaut auf einem durchdachten Netz von Fliegerhorsten, Nachrichtenverbindungen und Frühwarneinrichtungen, sollte unangetastet bleiben. Dowding hatte seine Jagdwaffe in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe 11 sollte London und den Süden des Landes verteidigen, die wegen ihrer Nahe zu den Stützpunkten der deutschen Luftwaffe in Frankreich bei weitem gefährdetste Region. Gruppe 12 hatte den Auftrag, die östlichen Grafschaften und die Industriegebiete in den Midlands zu schützen. Gruppe 13 war zur Verteidigung Schottlands and Nordostenglands vorgesehen. Die Ballung im Südosten zwang Dowding bald, zusätzlich die Gruppe 10 zu bilden, die den Südwesten abdeckte. Dennoch blieben die Gruppen 11 and 12 die größten and wichtigsten. Alle Gruppen waren in Sektionen unterteilt, und die Fliegerhorste der Sektionen stellten die kleinsten Einsatzeinheiten in Dowdings Abwehrfront dar.

Laut Dowdings Planung sollten sich die Gruppen gegenseitig unterstützen; verantwortlich dafür waren die Gruppenkommandeure. Hilfe benötigen wurde aller Voraussicht nach am ehesten die von Air Vice Marshal Keith Park geführte Gruppe 11. 

Park war Dowdings dienstältester Stabsoffizier gewesen, and seine Berufung in das entscheidende Kommando der Gruppe 11, eine der begehrtesten Positionen des Jägerkommandos, hatte zu Kontroversen geführt. Als die Leitung der Gruppe im Frühjahr 1940 neu besetzt werden musste, rechnete jeder mit der Berufung von Air Vice Marshal Trafford Leigh­Mallory, der seit 1937 Kommandeur der Gruppe 12 war und als aussichtsreichster Kandidat galt. Dowding dagegen entschied sich für Park und beließ Leigh-Mallory in seinem Kommando. In seiner barschen und sarkastischen Art war Leigh-Mallory das Urbild eines überzeugten, ehrgeizigen Berufsoffiziers. Es hieß, er sei ein befähigter Vorgesetzter, aber unbequemer Untergebener. Bei einer stürmischen Debatte in Dowdings Hauptquartier Bentley Priory schwor er Park damals, er werde dafür sorgen, dass Dowding eines Tages gefeuert würde.

Als die Wahl des Kommandeurs der Gruppe 11 dann auf Park fiel, machte Leigh-Mallory keinen Hehl daraus, dass er ihm den Posten missgönnte. So begann der Krieg für Dowding unter schlechten Vorzeichen; er hatte einen erklärten and entschiedenen Feind in den eigenen Reihen. Der Mangel an Flugzeugen stellte ein weiteres Problem dar, zu dessen Lösung jedoch schon einiges unternommen wurde. Churchill hatte einen dynamischen Kanadier, der es in London als Zeitungsverleger zu Rang und Vermögen gebracht hatte, zum Minister für die Flugzeugherstellung ernannt: William Maxwell Aitken, inzwischen Lord Beaverbrook. Der 61 jährige Lord Beaverbrook hatte zunächst Bedenken, aber Churchill blieb hartnackig. Er erklärte Beaverbrook, die Produktion von Jagdflugzeugen müsse Vorrang vor allen anderen Rüstungsanstrengungen haben, bis die erwartete deutsche Offensive abgewehrt sei. Mit Hilfe dieser Ermächtigung räumte Beaverbrook konsequent alle Hindernisse aus dem Weg. Indem er sich ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer das benötigte Personal und Material verschaffte, gelang es ihm, die Flugzeugindustrie so anzukurbeln, dass Dowdings einsatzbereite Jagdflotte von 331 Maschinen, die am Ende der Evakuierung der Truppen aus Dünkirchen zur Verfügung standen, innerhalb eines Monats auf über 600 erhöht wurde.

Zu den entscheidenden Vorteilen des Jägerkommandos gehörte ein damals in der Welt unübertroffenes Frühwarn- und Boden-Luft-Leitsystem. Es beruhte im wesentlichen auf Fortschritten in der Anwendung der Funkmesstechnik, die in England verhältnismäßig kurz zuvor gemacht worden waren, ohne dass etwas davon bekannt wurde. Das Radar als solches - die Positionsbestimmung eines Objektes durch Messung starker, in seine Richtung ausgesendeter Funkwellen, die von dem Objekt als Echosignal zurückgeworfen werden - war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Die Entwicklung funktionierender Gerate hatte lange auf sich warten lassen, aber 1936 waren die Engländer - damals den Deutschen und allen anderen in der Anwendung dieser Technik weit voraus - in der Lage, mit dem Bau einer Kette küstennaher Radarstationen zu beginnen, die feindliche Flugzeuge bereits über dem Festland und nicht erst über dem Ärmelkanal orten konnten. Wenn die angreifenden Flugzeuge den Luftraum über den Britischen Inseln erreicht hatten, traten Beobachter am Boden in Aktion, die bei Sichtung der Maschinen deren Kurs weiterverfolgten. Die Radar- and Beobachtermeldungen wurden in einer Luftmelde- und Auswertungszentrale, dem sogenannten Filterraum, in Bentley Priory gesammelt, wo die Position der Feindflugzeuge auf einem großen Kartentisch dargestellt und an die Einsatzleitungen der einzelnen Gruppenhauptquartiere und Sektionsstandorte des Jägerkommandos weitergemeldet wurde. In den Wochen vor der Schlacht um England fanden mit britischen Maschinen in der Rolle der Feindflugzeuge ununterbrochen Erprobungen des Frühwarnsystems statt, bis es nahezu fehlerlos funktionierte.

Noch während der Übungen entwickelte die R.A.F. eine Strategie zum Abfangen eindringender Feindverbande, die aus einer Reihe festgelegter Verfahren bestand, aber genügend Raum für bewegliche Einsatzführung ließ. Man ging davon aus, dass sich ein bevorstehender Angriff dadurch ankündigte, dass auf den Radarschirmen deutsche Bomber geortet wurden, die noch vor dem Pas-de-Calais, 25 Flugminuten vom nächsten Sektorstandort der Gruppe 11 entfernt, mit ihren Begleitjägern zusammentrafen. Für die Piloten einer gut ausgebildeten R.A.F.-Jagdstaffel reichten zwei bis drei Minuten für einen Alarmstart. Danach brauchten die britischen Flugzeuge etwa 15 Minuten - Spitfires etwas weniger, Hurricanes etwas mehr - um auf eine Hohe von 6000 Metern zu steigen. Wenn alles planmäßig verlief, hatten die R.A.F.-Piloten in ihrem Wettlauf mit dem Feind einen möglicherweise entscheidenden Vorsprung von ein paar Minuten. Natürlich blieb die Wahl des Zielgebiets jeweils den Angreifern überlassen - aber die Verteidiger waren dank ihres Radarsystems vor Überraschungen weitgehend sicher. Sie hatten damit einen Vorteil, dessen sich die deutsche Luftwaffenführung noch nicht bewusst war. Nachdem sich Hitler zwei Monate lang vergeblich bemuht hatte, mit den Briten zu einer sofortigen Friedensregelung zu kommen, erließ er am 16. Juli an die Oberkommandierenden seiner Streitkräfte die Weisung Nr. 16, mit der er ihnen befahl, die Invasion der Britischen Inseln vorzubereiten. Weder Hitlers Weisung noch die folgenden, vom Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, herausgegebenen Befehle liegen an Deutlichkeit zu wünschen übrig: Die Luftwaffe sollte alles in ihren Kräften stehende unternehmen, um das Jägerkommando zu vernichten und damit die Luftherrschaft zu erringen. Drei Luftflotten - Luftflotte 2 in Nordwestfrankreich, Luftflotte 3 in Nordostfrankreich und den Beneluxländern sowie Luftflotte 5 in Norwegen - hatten den Auftrag, abwechselnd Angriffe auf Dowdings Einsatzflugplatze und britische Flugzeugfabriken zu fliegen. Sobald zumindest die Luftüberlegenheit hergestellt war, sollte sich der Luftkrieg gegen Hafen and Hafeneinrichtungen richten. Bei alledem musste die Luftwaffe ihre Einsatzstarke zur Sicherung der Invasion aufrechterhalten.
Hitler selbst behielt sich das Recht vor, „Terrorangriffe als Vergeltungsmaßnahmen" anzuordnen.

 

Die 56 Meter hohe Radarantenne in der Nahe von  Felixstowe dient der Erfassung von tief fliegenden Flugzeugen

An ihrem Arbeitsplatz sucht eine Beobachterin nach den Echos auf dem Radarschirm, die von anfliegenden Maschinen der Luftwaffe warnen

 

Ein wirksames Frühwarnsystem

Die Radarstationen and Luftraumbeobachter, die während der Schlacht um England Feindflugzeuge orteten, verfolgten und der R.A.F. meldeten, bildeten das wirksamste Frühwarnsystem - und, trotz der Mitarbeit von Tausenden von Menschen, eines der bestgehüteten Geheimnisse - der Welt.

Englands Süd- and Ostküste bewachten 21 Radarstationen mit großer Reichweite, die Feindbomber in bis zu 225 Kilometer Entfernung und 9000 Metern Höhe erfassen konnten. Tiefer anfliegende Eindringlinge wurden zumeist von Radarstationen mit geringerer Reichweite geortet, die den unteren Luftraum abdeckten. Und wenn die Angreifer die englische Küste überflogen hatten, verfolgten zivile Luftraumbeobachter ihren Flugweg mit Fernglasern and Peilinstrumenten weiter.

Sämtliche Berichte wurden in einer Luftmelde- and Auswertungszentrale, dem sogenannten Filterraum, im Hauptquartier des Jägerkommandos in Bentley Priory unweit Londons gesammelt. Dort stellten Helferinnen die Bewegungen der englischen und deutschen Flugzeuge mit Hilfe farbiger Symbole auf einer riesigen Lagekarte dar. Auf einer Empore saßen weitere Helferinnen, die die Veränderungen auf der Karte verfolgten und neue Entwicklungen unverzüglich über Telephon den Gruppen- und Sektionszentralen meldeten, wo die Vorgange auf einem ähnlichen Kartentisch nachvollzogen wurden und Leitoffiziere den R.A.F.-Jägern über Funk entsprechende Anweisungen erteilten.

„Es war für uns und die Fahrung eine ausgesprochene Überraschung,...  dass England über ein engmaschiges... Radarsystem verfügte", schrieb Luftwaffengeneral Adolf Galland später. „So wurden die britischen Jäger von der Erde aus bis in Angriffsposition gegen die deutschen Verbande geführt."