Der Kampf ums Überleben
Am
Morgen des 15. Mai 1940 - elf Tage vor Begins der Evakuierung des
britischen Expeditionskorps aus Dunkirchen - klingelte das Telephon in
der Downing Street Nr. 10, dem Amtssitz des britischen Premierministers.
Es war 7.30 Uhr, and Winston Churchill schlief noch, aber der Anruf, der
aus Paris kam, wurde aufgrund der Dringlichkeit durchgestellt. Über
seines Apparat im Schlafzimmer hörte Churchill die Stimme des französischen
Premierministers Paul Reynaud, der erregt sagte: ,Wir sind besiegt
worden." Es war die bittere Wahrheit. Mit einem schnellen Vorstoß seiner Panzerverbande and motorisierten Infanterieeinheiten hatte Hitler die französischen Truppen vernichtend geschlagen and drohte nun, das Land innerhalb von wenigen Wochen völlig unter seine Kontrolle zu bringen. Churchill hatte am 10. Mai Neville Chamberlain als Premierminister abgelöst and war erst fünf Tage im Amt.
Dennoch
konnte er sich leicht ausrechnen, gegen wen sich Hitlers nächste Aktion
richten wurde. Großbritannien war die einzige Macht, die den deutschen
Diktator noch von der absolutes Herrschaft in Westeuropa trennte.
Erstes
Kräftemessen:
Ein
bitteres Erwachen
Hawker Hurricane
An
einem frostig klaren Novembermorgen des Jahres 1939 spurteten rund 80
Kilometer südöstlich von Reims auf dem einfachen Grasflugplatz von
Vassincourt drei britische Piloten zu ihren Flugzeugen. Nur wenig später
rumpelten die Hawker Hurricanes über den unebenen Boden, hoben ab,
zogen ihr Fahrwerk ein und stiegen steil in den Himmel. Die drei Jäger
hatten den Auftrag, den gemeldeten Aufklärer der deutschen Luftwaffe zu
verfolgen, der weit in den französischen Luftraum eingedrungen war.
Es
dauerte nicht lange, bis Palmer die feindliche Maschine ausmachte, einen
Bomber des Typs Dornier Do 17, dessen unverwechselbare
Silhouetteschlanker, bleistiftdünner Rumpf and knollige Bugkanzel - er
sogleich erkannte, weil er sich in seiner Freizeit zwischen den
Ausbildungsflügen viel mit den ausgegebenen Flugzeug-Erkennungsblattern
beschäftigt hatte. Der Pilot des deutschen Flugzeugs, der die
britischen Jäger offensichtlich bemerkt hatte, versuchte, in Richtung
Grenze zu entkommen, aber die Hurricanes waren über 100 Kilometer pro
Stunde schneller und kamen bald auf Schussentfernung heran. Von hinten
anfliegend, eröffneten sie das Feuer. Gegen den massiven Beschuss der
drei mit je acht Maschinengewehren ausgerüsteten Jäger hatte die
Dornier keine Chance. Im Feuerhagel getroffen, begann einer ihrer beiden
Motoren Flammen und Rauch zu spucken, und sie verlor Höhe.
Palmer
sah, wie Bordschutze und Beobachter sich aus dem qualmenden deutschen
Flugzeug fallen ließen and die Reißleinen ihrer Fallschirme zogen. In
der Absicht, dem Bomber den Gnadenstoß zu versetzen, flog er noch
einmal an und druckte den Waffenknopf seiner Hurricane. Nichts geschah;
er hatte seine ganze Munition verschossen. Glücklicherweise schien der
Deutsche ohnehin zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Palmer schloss von
hinten auf und betrachtete den Piloten, der über dem Steuerrad
zusammengesunken war und sich nicht rührte. Um sich endgültig zu
vergewissern, dass sein Gegner tot und die Maschine ein sicherer
Abschuss war, nahm Palmer den Gashebel zurück und setzte sich mit
seiner Hurricane direkt neben den schwer beschädigten Bomber.
In
der Glaskanzel des von Treffern durchsiebten Bombers war der Pilot,
Unteroffizier Arno Frankenberger, allerdings unverletzt geblieben. Er
hatte zu der uralten List gegriffen, sich totzustellen. Nun riss er
ruckartig den Gashebel zurück und brachte die Motoren fast zum
Stillstand. Die Dornier reagierte und wurde schlagartig langsamer, so
dass Palmer an ihr vorüberschoss. Frankenberger hangte sich direkt
hinter die Hurricane und trat in Aktion. Er überließ sein Flugzeug
sich selbst, kletterte in den freien Beobachtersitz, machte ein MG 15
feuerbereit und jagte einen langen Feuerstoß in das Heck der Hurricane.
Als
die Geschosse ratternd in den Rumpf einschlugen, duckte sich Palmer, während er gleichzeitig den Knüppel hart nach vorn schob, so dass die
Hurricane abrupt vornüberkippte und nach unten aus dem Feuerbereich des
Deutschen verschwand. Ein Geschoss war durch das Gepäckfach hinter
Palmers Sitz und an seinem Kopf vorbei in die Windschutzscheibe
geschlagen. Außerdem war der Motor getroffen worden und stand still.
Nachdem
er eine Nacht unter französischer Bewachung verbracht hatte, wurde
Frankenberger - gegen den vehementen Protest der Franzosen - für den
folgenden Abend den britischen Piloten übergeben, die ihn zu seiner
Verwunderung in das Obergeschoss eines kleinen Gasthauses in der Nahe
von Vassincourt führten, wo die englischen Offiziere ihre Messe
eingerichtet hatten. Dort hieß man ihn höflich willkommen, bot ihm
einen Sessel am Kamin an and reichte ihm einen Krug schäumendes Bier.
An diesem Abend speiste Frankenberger vom Besten, was das kleine Dorf zu
bieten hatte, reichte stolz Aufnahmen von Frau and Kind herum and
schrieb schließlich seinen Namen auf ein Photo, das er seinen
Bezwingern schenkte.
Das
Kameradschaftsgefühl, das sich hier manifestierte und das an die
Ritterlichkeit der Luftkämpfe des Ersten Weltkriegs erinnerte, stand in
eigenartigem Gegensatz zu der Idee des totalen Krieges. Aber die Piloten
der R.A.F. ahnten noch nicht, was ihnen in diesem Krieg bevorstand - die
Katastrophe von Dunkirchen, die Verteidigung Londons, das zähe Ringen
um Malta und der verbissene Kampf im Luftraum über Europa.
In
der Erinnerung der Überlebenden waren diese ersten, sportlich fairen
Begegnungen, die im September 1939 begannen, lediglich eine Art
"Scheinkrieg", den sie - in der Sprache des Landes, in dem sie
größtenteils stattfanden, häufig auch „La drole de guerre"
nannten.
Der
„Scheinkrieg“ - The phony war
Trotz
der offiziellen Kriegserklärung hatte bisher noch keine Seite eine
Offensive eingeleitet. Die starke, gut ausgebildete Luftwaffe schien
darauf zu warten, dass einer ihrer Gegner den ersten Schritt unternahm,
aber England und Frankreich verhielten sich defensiv und brachten
lediglich Truppen an der nordöstlichen Grenze Frankreichs in Stellung.
Mit der Entsendung von zehn mit leichten Bombern des Typs Fairey-Battle
ausgerüsteten Staffeln des Bomberkommandos nach Frankreich hatte Großbritannien
begonnen, seine Vorgeschobenen Luftstreitkräfte, die Advanced Air
Striking Force (AASF), aufzubauen. Die 1. und 73. Staffel, beide mit
Jagdflugzeugen des Typs Hurricane ausgerüstet, kamen nach. Wenig später
folgte eine kombinierte, Air Component genannte Einheit zur
Nahaufklarung und taktischen Luftunterstützung der britischen
Landstreitkräfte. Sie verfügte über den zweimotorigen Bomber-Blenheim
und den einmotorigen Hochdecker Lysander, der zu Aufklärungsflügen
eingesetzt wurde, sowie über Jäger vom Typ Hurricane und Gladiator,
letzterer ein zwar in unzähligen Einsatzen bewahrter, aber völlig
veralteter Doppeldecker. Abgesehen von Angriffen auf Feindaufklärer,
die die Grenze überflogen, und einigen Bombenangriffen auf deutsche
Kriegsschiffe enthielt sich die R.A.F. jeglicher offensiver Operationen.
Andererseits
sammelte die R.A.F. in dieser Zeit eine Reihe von wertvollen
Erfahrungen, unter anderem auch die aus dem Luftkampf zwischen Palmer und dem Deutschen Frankenberger. Die Benzintanks der Hurricane waren
gepanzert, und die Windschutzscheibe bestand aus Panzerglas; nichts aber
schützte den Piloten gegen Beschuss von hinten - ein Mangel, der den
jungen Engländer fast das Leben gekostet hatte. Palmers Staffelkapital,
Patrick J. H. „Bull" Halahan, forderte daraufhin sofort, dass in
den Hurricanes seiner Staffel Panzerplatten hinter dem Sitz des Piloten
angebracht wurden, stieg mit seinem Vorschlag jedoch auf Ablehnung, weil
die Panzerung angeblich den Schwerpunkt der Maschine ungünstig veränderte.
Halahan war nicht der Mensch, der nach abschlägigen Bescheiden einfach
aufgab. Er ordnete an, eines der Jagdflugzeuge entsprechend umzurüsten,
und schickte einen Piloten in die Luft, der die Theoretiker mit einem
atemberaubenden Kunstflugprogramm überzeugte. Sein Vorgehen führt
dazu, dass später sowohl in den Hurricanes als auch den Spitfires
standardmäßig Rückenpanzerungen angebracht wurden. Aber der
achtmonatige „Scheinkrieg", der dem deutschen Blitzkrieg im
Westen vorausging, sollte den Briten noch andere Lektionen erteilen, die
keinesfalls so schmerzlos zu verkraften waren wie diese.
Für
die im Luftkampf noch unerfahrene R.A.F. gehörte der Kampf zum täglichen
Leben. Seit Beginn ihrer Existenz als selbständige Teilstreitkraft, die
im April 1918 durch Zusammenlegung der Heeres- und Marineflieger
zustande kam, hatte sie um ihr Oberleben gerungen. Sowohl im
Kriegsministerium als auch in der Admiralität herrschte die Meinung
vor, dass das fliegende Personal dazu da sei, Land- and Seeoperationen
zu unterstützen - und dass eine Luftwaffe als eigenständige
Waffengattung demzufolge vollkommen unnötig sei. Mehr als einmal hatten
die Befürworter der R.A.F. im Parlament Antrage abwehren müssen, die
Luftstreitkräfte auf Heer and Marine aufzuteilen.
Die
bedrohliche Situation, in der sich die R.A.F. befand, verschärfte sich,
als das noch amtierende englische Kriegskabinett 1919 der bekannten
„Zehnjahresregel" zustimmte, einer Planungsstudie fuhr die
Streitkräfte, die auf der Voraussetzung basierte, dass das britische
Empire in den kommenden zehn Jahren von keinem größeren Krieg bedroht
sein wurde. Diese Studie, Eckpfeiler der britischen Verteidigungspolitik
and bis 1932 jährlich verlängert, hemmte den Ausbau der Streitkräfte,
insbesondere den der jungen - und noch weitgehend unerprobten - Royal
Air Force.
Die
R.A.F. und, wie sich herausstellte, ganz Großbritannien konnten sich glücklich
schätzen, dass an der Spitze des Kampfes gegen die Tendenz zur Vernachlässigung
der Luftstreitkräfte ein Mann von ungewöhnlicher Weitsicht stand. Sir
Hugh Trenchard, Stabschef der R.A.F., der wegen seiner gewaltigen Stimme
den Spitznamen „Boom" - der Donnerer - trug, war ein Visionär,
der sich hartnackig und mit allen Starken und Schwachen eines Fanatikers
für die strategisch operierenden Luftstreitkräfte einsetzte. Sein
Konzept beruhte auf der unerschütterlichen Überzeugung, Angriff sei
die beste Verteidigung und der Sieg nur durch den strategischen Einsatz
von Bombern auf militärische and industrielle Ziele zu erringen.
Trenchard behauptete - und überzeugte schließlich das Parlament-, das
die R.A.F. diese Funktion am besten als selbständige Teilstreitkraft,
unabhängig von den Land- and Seestreitkräften, wahrnehmen konnte.
Obwohl
die finanziellen Mittel in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg knapp
waren, setzte sich Trenchard mit Nachdruck dafür ein, seine kleine
Truppe auf ein gesundes Fundament zu stellen. Er gründete in Cranwell
eine R.A.F.-Fliegerschule für die Offiziersausbildung und in Halton
eine Ausbildungsstätte für das Bodenpersonal. Mit Hilfe einer
sogenannten Hilfsluftwaffe, der Auxiliary Air Force - einer aus den Söhnen
wohlhabender Familien, die sich die Wochenendausbildung zum Piloten
leisten konnten, gebildeten Reserve -, gelang es ihm, trotz der spärlichen
Haushaltsmittel die Zahl der einsatzbereiten Staffeln zu erhöhen. Das
war der Stand der R.A.F., als Winston Churchill 1934 vor dem Unterhaus
behauptete, in Deutschland existiere heimlich eine Luftwaffe.
Der
Verdacht verdichtete sich zur Gewissheit, als Hitler 1936 Truppen und
zwei Jagdstaffeln ins Rheinland schickte und Anspruch auf das Gebiet
erhob, das im Versailler Vertrag zur entmilitarisierten Zone erklärt
worden war. Die Engländer reagierten, indem sie die Entwicklung und
Produktion moderner Flugzeuge zu forcieren begannen und ein
umfangreiches Programm für den Bau von Flugplatzen in Angriff nahmen,
die die Insel letztlich in eine Art stationären Flugzeugträger
verwandeln sollten. 1936 wurde eine weitere freiwillige Reservetruppe
gegründet, die jährlich etwa 800 Piloten für die drei großen
Einsatzkommandos der R.A.F. anwarb und ausbildete: das Bomber-, das Jäger-
and das Küstenkommando. In der kurzen Zeit bis 1939 erhielt die R.A.F. eine einsatzbereite Flotte zuverlässiger Flugzeuge. Dem Bomberkommando standen an schweren Bombern Wellingtons und Whitleys, an mittleren Bombern Hampdens und Blenheims and an leichten Bombern die dreisitzigen, einmotorigen Fairey Battles zur Verfugung. Das Küstenkommando flog zweimotorige Ansons, in Amerika gebaute Hudson-Bomber und Sunderland-Flugboote zur Seeaufklärung. Als Jäger ragten vor allem die Hurricanes und die allerdings noch nicht sehr zahlreichen, neu entwickelten Spitfires hervor (Bilder unten).
Vickers Supermarine Spitfire - "matching with the enemy-power"
Mit Hilfe des
Ausbauprogramms war es gerade noch gelungen, die Zahl der
R.A.F.-Flugzeuge mehr als zu verdreifachen und auf rund 1500
hochzuschrauben - wobei die deutsche Luftwaffe ein noch
bemerkenswerteres Tempo hatte vorlegen können: Sie besaß bei
Kriegsausbruch mehr als doppelt so viele Maschinen wie die britische
Fliegertruppe. Im September 1939, als der Krieg begann, existierte die Royal Air Force seit 21 Jahren, and die Truppe selbst betrachtete sich als reife, professionelle Streitkraft. Als eine junge, in Neuland operierende Organisation übte sie weit größere Anziehungskraft aus als die beiden anderen Waffengattungen. Und die Presse, mit erfreulichen Meldungen nicht gerade verwohnt, half kräftig mit, das Hohelied der glorreichen Piloten zu singen, dem letztere nach Kräften gerecht zu werden versuchten
Die
Wirklichkeit, die sich am 3. September 1939, als die R.A.F. ihren ersten
Einsatzbefehl im Verlauf des Krieges erhielt, abzuzeichnen begann, sah
jedoch bestürzend anders aus.
Um
11.01 Uhr, eine Minute nach der offiziellen Kriegserklärung durch den
britischen Premierminister, lief ein ehrgeiziges Unternehmen an, an dem
die beiden zu der Zeit in Wattisham, 105 Kilometer nordöstlich von
London, stationierten Bomberstaffeln 107 and 110 beteiligt waren.
Die
beiden stiegen über der Schillig-Reede bei Wilhelmshaven auf eine größere
Anzahl von Kriegsschiffen. Kurz nachdem McPherson mit seinem zweiten
Bericht zurückgekehrt war, stiegen am 4. September unter dem Kommando
von Flight Lieutenant K. C. Doran zehn Blenheims in den
wolkenverhangenen Himmel auf and nahmen Kurs auf Wilhelmshaven. Ihre
Bombenlast bestand aus je zwei 225 Kilogramm schweren Sprengbomben mit
Zeitzundern, die für den Tiefangriff auf elf Sekunden Zündverzögerung
eingestellt waren. In Wyton starteten fünf weitere Blenheims der 139.
Staffel, um sich dem Angriff anzuschließen, kehrten aber wieder um,
da sich das Wetter verschlechterte and die Zielfindung unmöglich
machte. Doran mit seinen zehn Maschinen hingegen folgte den Fahrrinnen
zur Schillig-Reede, auf der das Panzerschiff Admiral Scheer and der
Leichte Kreuzer Emden vor Anker lagen.
Die
Bilanz der ersten Offensiveinsatze der R.A.F. im
Von
den 29 beteiligten Flugzeugen verfehlten zehn ihre Ziele, sieben wurden
abgeschossen. Bei anschließenden Aufklärungsflügen zeigte sich darüber
hinaus, dass sie die Schiffe nur unwesentlich beschädigt hatten, wenn
man von einer der kampfunfähig geschossenen Blenheims absah, die durch
Zufall oder aufgrund eines letzten heldenhaften Entschlusses des Piloten
mit voller Wucht in das Vorschiff der Emden prallte. Der ehrgeizige
Versuch, die deutsche Flotte gleich zu Beginn des Krieges wirkungsvoll
zu schwachen, war schmählich misslungen.
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Dunkirchen
- Die Evakuierung
...
Außerdem versuchten die britischen Jäger, die Deutschen möglichst
weit vor dem Kampfgebiet abzufangen, so dass das Gros der Luftkampfe
kilometerweit von Dunkirchen entfernt stattfand. Die Bilanz, 106
abgeschossene Jagdflugzeuge and 75 gefallene oder gefangengenommene
Piloten der R.A.F., konnte zudem zum damaligen Zeitpunkt nicht veröffentlicht
werden. Als sowohl von militärischer als auch ziviler Seite Vorwürfe
gegen die R.A.F. laut wurden, zum Gelingen der Evakuierung nicht genügend
beigetragen zu haben, kam Churchill dem fliegenden Personal zu Hilfe. Am 4. Juni, dem letzten Tag der Evakuierung, sagte er vor dem Unterhaus: ,Wir sollten uns unbedingt davor hüten, aus dieser Rettungsaktion einen Sieg zu machen. Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen. Aber diese Rettungsaktion brachte uns einen beachtenswerten Sieg. Zwischen der britischen und der deutschen Luftwaffe hat ein entscheidender Kräftevergleich stattgefunden. Kann man sich vorstellen, dass es für die deutschen Piloten ein größeres Ziel gegeben hätte, als den Rücktransport der Truppen von dieser Küste zu verhindern? Sie liegen nichts unversucht, und sie wurden zurückgedrängt. Ich zolle diesen jungen Fliegern Tribut.
"Prophetisch setzte er hinzu: ,Ein paar tausend gepanzerten
Fahrzeugen ist es gelungen, in einem Ansturm die große französische
Armee, jedenfalls vorläufig, auf breiter Front zurückzuschlagen und
aufzureiben. Ist es nicht auch denkbar, dass es ein paar tausend Piloten
gelingen wird, die Sache der gesamten zivilisierten Welt mit ihrem Können
und ihrer Treue zu verteidigen?"
Dowding
reagierte auf die Niederlage Frankreichs überaus nüchtern, wie Lord
Halifax berichtete, der ihn noch im selben Monat im Hauptquartier des Jägerkommandos
aufsuchte. „Gott sei Dank", meinte er, während er aus seinem
Fenster in Richtung Ärmelkanal blickte, „jetzt sind wir allein."
Hugh
Dowding hatte sich schon Jahre vor Kriegsausbruch auf die Schlacht um
England vorbereitet. Er war überzeugt, dass die R.A.F. und die deutsche
Luftwaffe eines Tages im britischen Luftraum aufeinandertreffen wurden.
Daher galt seine Arbeit als Chef des Jägerkommandos vor allem dem Ziel,
für diesen Tag gewappnet zu sein. Aber am Vorabend der Konfrontation, für
die er so umfassende Pläne entwickelt hatte, sah es so aus, als sollte
nicht er, sondern ein anderer die britische Jagdwaffe kommandieren.
Wahrend die Luftkämpfe über Dunkirchen tobten, war seine Versetzung in
den Ruhestand nur noch eine Frage von wenigen Wochen.
Das
Problem bestand darin, dass Dowding dem Stab der R.A.F. seit langem ein
Dorn im Auge war. Als Befehlshaber des Jägerkommandos hatte er
konsequent und kompromisslos den Ausbau seiner Jagdwaffe für die
Verteidigung Großbritanniens durchgesetzt, sogar auf Kosten des
Bomberkommandos und gegen den Widerstand des Stabes der R.A.F., der
Trenchards Offensivstrategie favorisierte. Das Jägerkommando war jedoch
im wesentlichen sein Werk, und in dieser kritischen Phase einen
Nachfolger für ihn zu finden stieg auf Schwierigkeiten. So kam es, dass
Dowding am 5. Juli, neun Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, gebeten
wurde, bis Oktober im Dienst zu bleiben. Die Verteidigung Englands lag
in seinen Händen, und sein Verteidigungsplan, aufgebaut auf einem
durchdachten Netz von Fliegerhorsten, Nachrichtenverbindungen und Frühwarneinrichtungen,
sollte unangetastet bleiben. Laut Dowdings Planung sollten sich die Gruppen gegenseitig unterstützen; verantwortlich dafür waren die Gruppenkommandeure. Hilfe benötigen wurde aller Voraussicht nach am ehesten die von Air Vice Marshal Keith Park geführte Gruppe 11.
Park war Dowdings dienstältester
Stabsoffizier gewesen, and seine Berufung in das entscheidende Kommando
der Gruppe 11, eine der begehrtesten Positionen des Jägerkommandos,
hatte zu Kontroversen geführt. Als die Leitung der Gruppe im Frühjahr
1940 neu besetzt werden musste, rechnete jeder mit der Berufung von Air
Vice Marshal Trafford LeighMallory, der seit 1937 Kommandeur der
Gruppe 12 war und als aussichtsreichster Kandidat galt. Dowding dagegen
entschied sich für Park und beließ Leigh-Mallory in seinem Kommando.
Als
die Wahl des Kommandeurs der Gruppe 11 dann auf Park fiel, machte Leigh-Mallory
keinen Hehl daraus, dass er ihm den Posten missgönnte. So begann der
Krieg für Dowding unter schlechten Vorzeichen; er hatte einen erklärten
and entschiedenen Feind in den eigenen Reihen.
Zu
den entscheidenden Vorteilen des Jägerkommandos gehörte ein damals in
der Welt unübertroffenes Frühwarn- und Boden-Luft-Leitsystem. Es
beruhte im wesentlichen auf Fortschritten in der Anwendung der
Funkmesstechnik, die in England verhältnismäßig kurz zuvor gemacht
worden waren, ohne dass etwas davon bekannt wurde. Das Radar als solches
- die Positionsbestimmung eines Objektes durch Messung starker, in seine
Richtung ausgesendeter Funkwellen, die von dem Objekt als Echosignal zurückgeworfen
werden - war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Die Entwicklung
funktionierender Gerate hatte lange auf sich warten lassen, aber 1936
waren die Engländer - damals den Deutschen und allen anderen in der
Anwendung dieser Technik weit voraus - in der Lage, mit dem Bau einer
Kette küstennaher Radarstationen zu beginnen, die feindliche Flugzeuge
bereits über dem Festland und nicht erst über dem Ärmelkanal orten
konnten.
Noch
während der Übungen entwickelte die R.A.F. eine Strategie zum Abfangen
eindringender Feindverbande, die aus einer Reihe festgelegter Verfahren
bestand, aber genügend Raum für bewegliche Einsatzführung ließ. Man
ging davon aus, dass sich ein bevorstehender Angriff dadurch ankündigte,
dass auf den Radarschirmen deutsche Bomber geortet wurden, die noch vor
dem Pas-de-Calais, 25 Flugminuten vom nächsten Sektorstandort der
Gruppe 11 entfernt, mit ihren Begleitjägern zusammentrafen. Für die
Piloten einer gut ausgebildeten R.A.F.-Jagdstaffel reichten zwei bis
drei Minuten für einen Alarmstart. Danach brauchten die britischen
Flugzeuge etwa 15 Minuten - Spitfires etwas weniger, Hurricanes etwas
mehr - um auf eine Hohe von
6000 Metern zu steigen. Wenn alles planmäßig verlief, hatten die
R.A.F.-Piloten in ihrem Wettlauf mit dem Feind einen möglicherweise
entscheidenden Vorsprung von ein paar Minuten. Natürlich blieb die Wahl
des Zielgebiets jeweils den Angreifern überlassen - aber die
Verteidiger waren dank ihres Radarsystems vor Überraschungen weitgehend
sicher. Sie hatten damit einen Vorteil, dessen sich die deutsche
Luftwaffenführung noch nicht bewusst war. Nachdem sich Hitler zwei
Monate lang vergeblich bemuht hatte, mit den Briten zu einer sofortigen
Friedensregelung zu kommen, erließ er am 16. Juli an die
Oberkommandierenden seiner Streitkräfte die Weisung Nr. 16, mit der er
ihnen befahl, die Invasion der Britischen Inseln vorzubereiten.
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Die
56 Meter hohe Radarantenne in der Nahe von
Felixstowe dient der Erfassung von tief fliegenden Flugzeugen |
An
ihrem Arbeitsplatz sucht eine Beobachterin nach den Echos auf dem
Radarschirm, die von anfliegenden Maschinen der Luftwaffe warnen |
Ein
wirksames Frühwarnsystem
Die
Radarstationen and Luftraumbeobachter, die während der Schlacht um
England Feindflugzeuge orteten, verfolgten und der R.A.F. meldeten,
bildeten das wirksamste Frühwarnsystem - und, trotz der Mitarbeit von
Tausenden von Menschen, eines der bestgehüteten Geheimnisse - der Welt.
Englands
Süd- and Ostküste bewachten 21 Radarstationen mit großer Reichweite,
die Feindbomber in bis zu 225 Kilometer Entfernung und 9000 Metern Höhe
erfassen konnten. Tiefer anfliegende Eindringlinge wurden zumeist von
Radarstationen mit geringerer Reichweite geortet, die den unteren
Luftraum abdeckten. Und wenn die Angreifer die englische Küste überflogen
hatten, verfolgten zivile Luftraumbeobachter ihren Flugweg mit
Fernglasern and Peilinstrumenten weiter.
Sämtliche
Berichte wurden in einer Luftmelde- and Auswertungszentrale, dem
sogenannten Filterraum, im Hauptquartier des Jägerkommandos in Bentley
Priory unweit Londons gesammelt. Dort stellten Helferinnen die
Bewegungen der englischen und deutschen Flugzeuge mit Hilfe farbiger
Symbole auf einer riesigen Lagekarte dar. Auf einer Empore saßen
weitere Helferinnen, die die Veränderungen auf der Karte verfolgten und
neue Entwicklungen unverzüglich über Telephon den Gruppen- und
Sektionszentralen meldeten, wo die Vorgange auf einem ähnlichen
Kartentisch nachvollzogen wurden und Leitoffiziere den R.A.F.-Jägern über
Funk entsprechende Anweisungen erteilten.
„Es
war für uns und die Fahrung eine ausgesprochene Überraschung,...
dass England über ein engmaschiges... Radarsystem verfügte",
schrieb Luftwaffengeneral Adolf Galland später. „So wurden die
britischen Jäger von der Erde aus bis in Angriffsposition gegen die
deutschen Verbande geführt."
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